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Die Versuchung, zu verzweifeln

Autor
Sollors, Werner

Die Versuchung, zu verzweifeln

Untertitel
Geschichten aus den 1940er-Jahren. Aus dem Amerikanischen von Sabine Bayerl
Beschreibung

Zerstörung, Gewalt, Verlust und Schuld in übermächtigem Ausmaß waren die Schlüsselerlebnisse vieler Menschen in Deutschlands Nachkriegszeit. Verzweiflung und die „Angst vor sich selbst“ (Georges Bernanos) griffen um sich, 1945 wurde Deutschland von einer Welle von Selbstmorden überzogen. „Was konnte man überhaupt von einer Besatzung erwarten, die sich der unmöglichen Aufgabe gegenübergestellt sah, ein Volk wieder aufzurichten, das den Boden unter den Füßen verloren hatte?“ (Hannah Arendt, 1950).

In ihren Texten, Bildern und Filmen zeichneten Zeitgenossen wie Robert Capa, Stig Dagerman, Martha Gellhorn, Erich Kästner, Wolfgang Koeppen, Kurt Vonnegut oder Billy Wilder ein oft düsteres Bild der Nachkriegszeit, zu dem vor allem schwarzer Humor – aber auch religiöse Hoffnung – ein Gegengewicht bildete.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Universitätsverlag Winter, 2017
Seiten
398
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-8253-6650-6
Preis
24,00 EUR
Status
lieferbar

Zum Buch:

Zerstörung, Gewalt, Verlust und Schuld in übermächtigem Ausmaß waren die Schlüsselerlebnisse vieler Menschen in Deutschlands Nachkriegszeit. Verzweiflung und die „Angst vor sich selbst“ (Georges Bernanos) griffen um sich, 1945 wurde Deutschland von einer Welle von Selbstmorden überzogen. Im Zuge der Entmilitarisierung des Landes mit militärischen Mitteln wurden zunehmend auch pessimistische Stimmen laut: „Wir haben den Krieg gegen Deutschland gewonnen. Haben wir den Frieden verloren?“ (Drew Middleton, 1946 ) „Was konnte man überhaupt von einer Besatzung erwarten, die sich der unmöglichen Aufgabe gegenübergestellt sah, ein Volk wieder aufzurichten, das den Boden unter den Füßen verloren hatte?“ (Hannah Arendt, 1950).

Fast schon in Vergessenheit geraten sind die vielen authentischen Stimmen in Briefen, Fotografien, Tagebüchern, Berichten, Studien und Filmmaterial, die dieses Elend in Worte und Bilder zu fassen versuchten. Überlebt hat der Erfolgsmythos der Besatzung Westdeutschlands durch die Alliierten. Werner Sollors, 1943 in Schlesien geboren, mehrfach ausgezeichneter Professor der Harvard University, hat in diesem wertvollen Buch in eigenen Worten „Lesarten kultureller Erzeugnisse“ von 1945 bis 1948 zusammengestellt, um die Geschichte und die Geschichten der Nachkriegszeit in ihren vielfältigen Perspektiven vor dem Vergessen zu bewahren. In Texten, Bildern, Filmen gaben Robert Capa, Martha Gellhorn, Gertrude Stein, Erich Kästner, Wolfgang Koeppen – um nur einige wenige zu nennen – das wieder, was sie in den Nachkriegsjahren wahrnahmen: das Elend, aber auch den Überlebenswillen, und sei es mit Hilfe der wiederauflebenden Religion oder des schwarzen Humors.

Durch seine kontroverse Betrachtung berühmt geworden ist das Foto von George Rodger: Es zeigt einen Jungen, der, bekleidet mit kurzen Hosen und Lederschuhen, im Konzentrationslager Bergen-Belsen von der Sonne beschienen dem Fotografen entgegengeht, den Blick von den Leichen am Straßenrand abgewendet. Diesem Zeitdokument zum Beispiel ist ein Kapitel des Buches gewidmet, genauso wie Billy Wilders Film A Foreign Affair (Eine auswärtige Affäre), der in Amerika 1948 herauskam und von der amerikanischen Militärregierung für Deutschland gesperrt wurde.

Im Nachwort schreibt Werner Sollors ganz offen, wie sehr ihm dieses Buch auch persönliches Anliegen ist. Man spürt es auf jeder Seite: vorschnelles Urteilen wird bewusst vermieden. Stattdessen wird mit geradezu kriminalistischem Impetus und akribischer Recherche Erstaunliches zutage gefördert. Leserinnen und Leser geraten hier gar nicht erst in Versuchung, dem Wunsch nach Vergessen nachzugeben. Viel zu spannend ist es, mit Sollors die kulturellen Zeugnisse und ihre Botschaften im Rahmen des Zeitkontexts zu entschlüsseln.

Susanne Rikl, München