Zum Buch:
Es gab mal eine Stadt, in der alle Einwohner Diebe waren.
So beginnt die Kurzgeschichte von Italo Calvino, die hier von der überragenden Illustratorin Lena Schall bildhaft umgesetzt wurde. In jener namenlosen Stadt verließen die Bewohner mit Anbruch der Dämmerung ihre Häuser und schlichen mit Sack, Taschenlampe und Dietrich bewaffnet um die Ecken. Erst im späten Morgengrauen kam jeder voll bepackt zurück – und fand sein eigenes Haus leer geräumt vor.
Da aber nun jeder jeden bestahl, und das Nacht für Nacht, hatte auch jeder sein Auskommen, und daher was auch alles gut. Handel kannte man in dieser Stadt nur in Form von Betrug, und selbst die Regierung war allein dafür zuständig, ihre Untertanen bis aufs letzte Hemd auszuplündern, wobei diese es ihnen in gleicher Weise heimzahlten, indem sie wiederum ihre Regierung rückhaltlos übers Ohr hauten. Dieses System gelang so gut, dass jeder mehr oder weniger zufrieden war, denn es gab weder Reiche noch Arme. Bis dann eines Tages ein Ehrlicher in die namenlose Stadt kam, der, anstatt nachts auf Raubzug zu gehen, viel lieber zu Hause blieb und Romane las.
Als wie gewohnt die friedlichen Einbrecher kamen und das Licht brennen sahen, stiegen sie nicht ein und zogen unverrichteter Dinge weiter.
Nun war die Kette zum ersten Mal durchbrochen, das Durcheinander nahm seinen tragischen Verlauf.
Man kann und muss die Arbeitsweise, deren sich Lena Schall hier bedient hat, nur einzigartig und unverkennbar nennen. Was da in einer wilden Mixtur aus Collagen, Zeichnungen und modellierten Figuren ins Auge fällt, grenzt schon an ein kleines, farbenprächtiges Wunder.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln