Zum Buch:
Seit mehreren Generationen schon lebt die Familie Prime auf dem abgelegenen Hof „The Beacon“ im Norden Englands. Das Leben dort ist hart. Die karge Erde und das rauhe Klima lassen den Menschen wenig Zeit für Müßiggang. Aber die vier Geschwister Colin, May, Frank und Berenice verleben eine glückliche Kindheit dort. Sie sind sehr unterschiedlich, und wie in vielen Familien wurden ihnen bestimmte Eigenschaften und Rollen zugeschrieben. Colin, der Älteste, ist freundlich, ruhig und verträglich. Berenice, die jüngste, wird von allen verwöhnt. Sie hat schnell herausgefunden, wie sie die anderen manipulieren kann, um ihren Willen zu bekommen.
May ist gescheit und neugierig. Lesen und Rechnen hat sie sich selbst beigebracht, und sie durchläuft die Dorfschule und das Gymnasium ohne Probleme. Die Welt steht ihr offen, und als sie ein Stipendium für die Universität bekommt, beschließt sie, nach London zu gehen. Aber bereits im ersten Jahr bricht sie das Studium ab und geht zurück auf den Hof, wo sie fortan mit ihren Eltern lebt. Sie ist froh über das ereignislose Leben dort und scheint, zum Erstaunen von Colin und Berenice, zufrieden zu sein – jedenfalls macht sie keine Anstalten, daran etwas zu ändern.
Dann ist da noch Frank, der Zweitälteste. Nie beteiligt er sich an den Spielen der anderen. Er sucht keinen Kontakt, läuft alleine auf dem Hof herum, und je älter er wird, desto mehr scheint er sich zurückzuziehen. Aber sobald man sich umdreht, ist er da und beobachtet. Mit neunzehn Jahren zieht er nach London. Er beginnt als Redaktionsbote bei einer Zeitung und wird binnen kurzem erst Reporter, dann Chefredakteur. Für ihn ist London eine Befreiung. Aus dem verdrucksten Jungen ist ein offener junger Mann voll Witz und Selbstvertrauen geworden. Irgendwann, nach vielen Jahren, schreibt er ein Buch über seine Kindheit, nach dessen Erscheinen für ihn und für seine Geschwister nichts mehr ist wie vorher …
Susan Hill ist in England eine bekannte Schriftstellerin, die für ihr Schaffen geadelt wurde. Neben Romanen und Sachbüchern schreibt sie auch Kriminalromane und Gothic Novels. Sie ist also auch Expertin für Rätselhaftes und Unerklärliches. Obwohl Stummes Echo zu keinem der beiden Genres gehört, hat das Buch doch viele Elemente davon. Etwa die schleichende Verunsicherung, die den Boden unter den Füßen zunehmend ins Wanken bringt, und die nicht zu klärende Frage, was Wahrheit ist und welcher Erinnerung man trauen kann – falls überhaupt. Trotzdem bleibt der Text ganz bodenständig. Das Buch entwickelt einen ungeheuren Sog, der durch Hills ruhige, klare und undramatische Erzählweise gesteigert wird und dem sich der Leser kaum entziehen kann.
Ruth Roebke, Bochum