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VERSschmuggel / reVERSible

Autor
Gumz, Alexander; Golimowska, Karolina u.v.a.

VERSschmuggel / reVERSible

Untertitel
Poesie aus den USA und Deutschland
Beschreibung

Das Haus der Poesie richtet bereits seit mehreren Jahren eine Zusammenkunft von LyrikerInnen aus, in denen sie paarweise die Gedichte der jeweils anderen übersetzen. Dieser Band dokumentiert nun das Aufeinandertreffen 6 deutscher und 6 US-amerikanischer AutorInnen. Im bilingualen Wechsel entfaltet sich nicht nur ein neues Verständnis für grammatische und klangliche Besonderheiten der jeweiligen Sprache, auch ermöglicht das Übersetzen, das als Prozess erkennbar wird, (auch ungeübten) LeserInnen von Lyrik einen Zugang, auf dem es sich tastender vorangehen lässt als geleitet von einem biografischen oder hermeneutischen Kommentar.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Das Wunderhorn, 2020
Seiten
200
Format
Kartoniert
ISBN/EAN
978-3-88423-627-7
Preis
20,00 EUR
Status
lieferbar

Zum Buch:

Bei VERSschmuggel handelt es sich um ein bereits seit einigen Jahren laufendes Projekt des Berliner Hauses für Poesie. LyrikerInnen aus verschiedenen Ländern übersetzen paarweise, jeweils mit Unterstützung einer DolmetscherIn, die Gedichte der jeweils anderen. In den letzten Jahren waren in diesem Rahmen unter anderem Gäste aus Litauen, Tschechien, dem Iran und den Niederlanden eingeladen. Die aktuelle Ausgabe der Reihe ist nun den USA gewidmet und enthält die (Nach-) Dichtungen von jeweils 6 deutschen und amerikanischen AutorInnen. Auf deutscher Seite gehören dazu unter anderem Anja Kampmann, Yevgeniy Breyger und Dagmar Kraus, aber auch Ronya Othmann, deren Debüt-Roman gerade erschienen ist.

Das Besondere dieser Ausgabe ist nun, dass englische Lyrik in einer Fremdsprache portraitiert wird, die den meisten LeserInnen geläufig sein dürfte. Der Effekt, der sich beim Verfolgen der Übertragungen der einzelnen Gedichte einstellt, lässt sich wie folgt beschreiben: Wir beginnen in der Regel mit der Lektüre der deutschen Lyrik im Original, gefolgt von der jeweiligen englischsprachigen Übersetzung. Dort beginnt man Verschiebungen, Verkürzungen und zum Teil Auslassungen zu registrieren, aber auch eine Veränderung des Klangs. Dann werden die Rollen gewechselt und man nähert sich der deutschen Übersetzung ausgehend vom englischen Original. An diesem Punkt nun fängt die LeserIn an, ein Gespür für die jeweils spezifischen Stile der beiden LyrikerInnen entwickeln zu können, die die eigene Dichtung und Übertragung in ein anderes Licht rücken. Welche Besonderheiten lassen sich auf die jeweilige Sprache zurückführen, welche sind der AutorIn, welche der ÜbersetzerIn geschuldet? Wann hält man eine Übersetzung für gelungen und wann nicht? Was sträubt sich und muss vielleicht ganz neu gefasst werden? Ein besonders gutes Beispiel für Letzteres ist Ilya Kaminskys Übertragung von Dagmar Kraus’ Çatodas. In anderen Fällen, etwa in den Arbeiten des ersten Duos – Anja Kampmann und Brenda Shaughnessy – ordnet die Übersetzerin ihre Fassung neu zu Strophen, was das Gedicht äußerlich stark verändert.

Nun kann man sich fragen: Braucht man das? Ist nicht die Herausforderung eines einfachen Lyrikbandes schon groß genug? Warum sich der Lektüre von gleich 12 verschiedenen Stimmen in (mindestens) zwei unterschiedlichen Sprachen widmen? Tatsächlich aber entsteht der Eindruck, dass der Umweg, den wir in der Übersetzung ins Englische bzw. Deutsche erkennen können, die Lektüre erleichtert, weil es sie ein Stück weit begleitet. Denn in erster Linie erweisen sich die AutorInnen als gegenseitige LeserInnen. Es lässt sich erkennen, welche Besonderheiten des Gedichtes besondere Aufmerksamkeit erfahren und welche Stellen des Gedichtes so tief in den Eigenheiten der jeweiligen Sprache verwurzelt sind, dass sie sich nur mit Mühe – um ein Bild aus Humboldts Übersetzungstheorie zu verwenden – verpflanzen lassen. Die Übersetzung erweist sich hier als eine andere Annäherung an Lyrik, die den Geltungsanspruch eines hermeneutischen oder biografischen Kommentars nicht teilen muss. Im Wechsel zwischen den beiden Sprachen schärft sich so nicht nur der Blick für den Klang oder Sound, sondern räumt der LeserIn auch schlicht mehr Zeit ein, bei einem Gedicht zu verweilen. Als sehr hilfreich und interessant erweisen sich auch die das jeweilige Kapitel abschließenden kurzen Kommentare der AutorInnen und DolmetscherInnen zu der gemeinsamen Arbeit.

Da Kanada in diesem Jahr – wenn auch nur virtuell – Gastland der Buchmesse ist, erscheint aus der Reihe VERSschmuggel sogar noch eine weitere, im Oktober erscheinende Publikation, die sich Sprachen widmet, die der deutschen LeserIn ebenfalls geläufig und bereits als online Podium zu sehen sind. Darin treffen Dichtungen aus dem Englischen und Französischen auf deutsche Übersetzungen und umgekehrt.

Theresa Mayer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt