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Autor
Pollan, Michael

Verändere dein Bewusstsein

Untertitel
Was uns die neue Psychedelik-Forschung über Sucht, Depression, Todesfurcht und Transzendenz lehrt. Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel
Beschreibung

Hört oder liest man von psychedelischen Drogen, fällt einem in der Regel folgendes ein: LSD, Psilocybin, Trips, erweitertes Bewusstsein, Timothy Leary, Hippies. Aber die Geschichte der psychedelischen Drogen ist vielschichtiger und umfassender, als man gemeinhin denkt.

1943 hatte der Schweizer Chemiker Albert Hoffmann im Rahmen seiner Forschungen LSD entdeckt, einen synthetischen Stoff, dessen Einnahme bis dahin unbekannte halluzinative Wirkungen hatte. Über einen Zeitraum von mehreren Stunden erzeugte er ein völlig verändertes Bewusstsein, das bei vielen intensive spirituelle Erfahrungen hervorrief und bei anderen wahre Horrorszenarien produzierte. Mediziner und Psychiater glaubten, damit Psychosen heilen zu können, und erste, vielversprechende Versuche wurden gemacht. Im Laufe der Zeit weitete sich der Nutzerkreis des als psychedelisch bezeichneten Stoffes aus, und LSD kursierte als Partydroge in der ganzen westlichen Welt – mit unberechenbaren individuellen und gesellschaftlichen Folgen.

Verändere dein Bewusstsein gibt einen faszinierenden Einblick in die Geschichte eines janusköpfigen Stoffes, der ein Segen sein kann, aber auch die Gefahr in sich birgt, „ … dass alles aus dem Ruder läuft“.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Verlag Antje Kunstmann, 2019
Format
Gebunden
Seiten
495 Seiten
ISBN/EAN
978-3-95614-288-8
Preis
26,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Michael Pollan, geb. 1955, ist ein vielfach ausgezeichneter Journalist, Autor zahlreicher Sachbücher und Professor in Harvard. Zuletzt erschien von ihm Kochen – Eine Kulturgeschichte der Transformation (Kunstmann 2014).

Zum Buch:

Vor 75 Jahren machte der Schweizer Chemiker Albert Hoffmann den ersten Selbstversuch mit LSD, einer Substanz, die er im Rahmen von Arzneimittelforschungen aus dem Getreidepilz Mutterkorn synthetisiert hatte, und erlebte eine erstaunliche Veränderung seiner Wahrnehmung und seines Bewusstseins.

Bewusstseinsverändernde Pilze sind in vielen Kulturen fester Bestandteil bei schamanischen Ritualen. Im Westen hatte die Forschung nun plötzlich eine synthetische Substanz, die „sauber“ herzustellen und exakt zu dosieren war. Die Ähnlichkeit der Erfahrungen von Forschern und Versuchspersonen mit LSD zu den Symptomen psychischer Erkrankungen machte ihnen Hoffnung, ein Gegenmittel gefunden zu haben. Aber LSD blieb nicht lange auf den engen Kreis von Forschern beschränkt. Bereits Ende der 50er Jahre entkam die Droge dem Labor und wurde zum „Trip“ für alle, die mystische Erfahrungen suchten und denen es leichter schien, ein Stück Löschpapier zu verspeisen, als jahrelang zu meditieren.

Die weitere Entwicklung ist bekannt: Abgedriftete Wissenschaftler wie Timothy Leary und andere selbsternannte LSD-Propheten propagierten den „freien“ Gebrauch der Droge für jedermann – mit teilweise beunruhigenden Folgen, die alle seriöse Forschung überdeckten: Selbstmorde, psychische Erkrankungen, aber auch ein gesellschaftlicher Wandel bei jungen Menschen, die z.B. nicht mehr einsahen, weshalb sie in den Vietnamkrieg ziehen sollten. Seit 1966 herrschte in den USA eine Art „moralische Panik“, in deren Folge der Gebrauch von LSD, Psilocybin, Mescalin und anderer bewusstseinsverändernder Stoffe verboten und sämtliche Forschungsgelder gestrichen wurden – LSD verschwand damit weitgehend aus der Gesellschaft.

Seit Beginn der 1990er Jahre erleben psychoaktive Substanzen jedoch eine Wiederauferstehung. Neue Forschungen der Neurowissenschaften mit ihren bildgebenden Verfahren erklären, auf welche Hirnregionen die Stoffe Einfluss nehmen und wo sie ihre bewusstseinserweiternde Wirkung entfalten. Sie können allerdings nicht erklären, warum die häufige Erfahrung der Auflösung dessen, was wir ICH nennen, eine so tiefgreifende Wirkung haben kann, dass sie – manchmal dauerhaft, zumeist jedoch für einige Zeit – Menschen Ängste, Depressionen und Süchte nehmen und ihnen ein Gefühl des Aufgehobenseins geben kann. So ist der Streit darüber, ob es sich „nur“ um eine Drogenerfahrung handelt oder um eine, allerdings nicht erklärbare „Realität“, der gleiche wie vor 60 Jahren. Genau wie damals besteht die Gefahr, dass medizinische Forschung und mystische Sinnsuche erneut zwei sich widersprechende Pole bilden und letztlich wieder „alles aus dem Ruder läuft“.

Der US-amerikanische Journalist Michael Pollan, Autor preisgekrönter Sachbücher und Professor in Harvard, schreibt in seinem Buch Verändere Dein Bewusstsein die Geschichte der psychedelischen „Drogen“, ihrer wichtigsten Protagonisten und der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussionen darüber. Er tut dies auf unterschiedlichen Wegen: Das Buch nähert sich „dem Thema aus verschiedenen Blickwinkeln und setzt verschiedene Darstellungsformen ein: Gesellschafts- und Wissenschaftsgeschichte, Naturkunde, Memoir, Wissenschaftsjournalismus und Fallstudien von Versuchspersonen und Patienten.“ In der Mitte des Textes schildert der Autor drei eigene „Reisen“ mit LSD, Psilocibyn und 5-MeO-DMT, das kurz „die Kröte“genannt wird.

Trotz seiner eigenen, als positiv erlebten Erfahrungen bleibt Pollanin in seiner Darstellung angenehm skeptisch, nüchtern und distanziert. Er verfällt weder in Euphorie ob der Wirkungen noch in Ablehnung. Verändere dein Bewusstsein ist eine hochinteressante Lektüre, die bei aller Seriösität äußerst unterhaltsam ist. Leider rückt der Untertitel Was uns die neue Psychedelik-Forschung über Sucht, Depression, Todesfurcht und Transzendenz lehrt das Buch genau in die Ecke, in der es der Autor nicht sehen will, denn zu vieles an diesem Thema ist nach wie vor zu unerforscht, um als gesicherte, handbuchartig dargebotene Erkenntnis zu gelten.

Ruth Roebke, Bochum