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Autor
Wolter, Christine

Die Alleinseglerin

Untertitel
Roman
Beschreibung

Ehrlich gesagt, verstehe ich vom Segeln nicht das Geringste, und es hat mich, da anfällig für Seekrankheit, auch nie interessiert. Natürlich genieße auch ich den Anblick geblähter weißer Segel auf blauem Wasser, aber mich in ein Boot zu verlieben, liegt außerhalb meiner Vorstellungskraft. Verliebt aber habe ich mich dennoch, und zwar in den 1982 in der DDR erschienenen und jetzt wieder neu aufgelegten Roman Die Alleinseglerin von Christine Wolter, ein Buch, das von Segelbooten und nautischen Ausdrücken nur so strotzt und das dennoch einen solch zarten Zauber entfaltet, dass ich es Land- und Wasserratten gleichermaßen unter den Weihnachtsbaum legen würde.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Ecco Verlag, 2022
Format
Gebunden
Seiten
206 Seiten
ISBN/EAN
9783753000732
Preis
22,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Christine Wolter wurde 1939 in Königsberg/Kaliningrad geboren. Nach der Flucht aus Ostpreußen 1944 kam ihre Familie 1950 nach Ostberlin. Sie studierte Romanistik, war Lektorin im Aufbau-Verlag und ist freiberufliche Übersetzerin, Herausgeberin und Schriftstellerin. Christine Wolter schreibt Erzählungen, Romane und Lyrik, darunter den Bestsellerroman Die Alleinseglerin, der 1982 erschien und von der DEFA verfilmt wurde. 1978 zog sie nach Italien und lebt heute bei Mailand und in Berlin.

Zum Buch:

Ehrlich gesagt, verstehe ich vom Segeln nicht das Geringste, und es hat mich, da anfällig für Seekrankheit, auch nie interessiert. Natürlich genieße auch ich den Anblick geblähter weißer Segel auf blauem Wasser, aber mich in ein Boot zu verlieben, liegt außerhalb meiner Vorstellungskraft. Verliebt aber habe ich mich dennoch, und zwar in den 1982 in der DDR erschienenen und jetzt wieder neu aufgelegten Roman Die Alleinseglerin von Christine Wolter, ein Buch, das von Segelbooten und nautischen Ausdrücken nur so strotzt und das dennoch einen solch zarten Zauber entfaltet, dass ich es Land- und Wasserratten gleichermaßen unter den Weihnachtsbaum legen würde.

Der Inhalt ist schnell erzählt: Almuth, eine junge Literaturwissenschaftlerin, alleinerziehend mit einem Sohn, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni, verbringt die Sommerwochenenden oft mit ihrem Vater in dessen Holzhäuschen an einem See und auf dessen Segelboot, einem „Drachen“. Sie ist weder eine begeisterte noch eine gute Seglerin, aber der Drachen an seinem Steg gehört einfach so selbstverständlich zum Haus und zu ihrem Vater, dass sie bei der Nachricht, er solle verkauft werden, spontan anbietet, es selbst zu kaufen. Dieser Entschluss spottet jeder – finanziellen wie segelsportlichen – Vernunft, und so bietet sie ihn nach dem Tod des Vaters selbst zum Verkauf an, allerdings aus verschiedenen Gründen erfolglos. So beginnt ihr Leben mit dem Drachen, und das bedeutet Schulden, lange Tage schwerster körperlicher Arbeit, Kampf gegen Vorurteile und männliche Herablassung. Immer wieder grübelt sie über die Frage nach, warum sie so besessen von diesem Boot ist, das ihr wie ein Klotz am Bein hängt und von dem sie sich doch nicht trennen kann, was ihr Vater damit zu tun hat und welche Sehnsüchte sie selbst damit eigentlich verbindet.

Große Teile dieses Buches mögen für passionierte SeglerInnen spannend sein, aber der unglaubliche Reiz dieses Buches geht weit darüber hinaus. Das liegt in erster Linie an der Sprache, in der es der Autorin gelingt, Arbeit und Alltagssorgen, Natur und (die widersprüchlichsten) Gefühle so präzise und zugleich so leicht und luftig zu beschreiben, dass ich beim Lesen an manchen Stellen genießerisch innehalten musste. Und in zweiter Linie ist es die Perspektive, die das Buch auszeichnet. Die Protagonistin und Erzählerin lebt in Mailand; sie hat die DDR wegen der Heirat mit einem Italiener ganz legal verlassen und kann deshalb auch problemlos immer wieder zurückreisen. Und in Umkehrung aller Klischees sehnt sie sich im verregneten winterlichen Mailand nach dem Frühling am märkischen See, erinnert sich an die vergangene Schufterei auf dem Boot und erwartet die kommende. Der Drachen bleibt ihr als Fixpunkt zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, weniger Heimat als vielmehr Ort der Freiheit, physisch wie psychisch, schwebend und flüchtig und doch unverrückbarer Ankerpunkt für ein ganzes Leben.

Irmgard Hölscher, Frankfurt a.M.