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Autor
Kollender, Andreas

Kolbe

Untertitel
Beschreibung

Die Wenigsten unter uns werden mit dem Namen „Fritz Kolbe“ etwas anfangen können. Zumindest ging es mir so, bevor ich auf den Roman von Andreas Kollender aufmerksam wurde. Bald konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Kollender erzählt vom Diplomatendienst und – je nach Perspektive – von der Spionagetätigkeit oder dem Geheimnisverrat des wohl bedeutendsten Spions im 2. Weltkrieg.

Unter Einsatz seines Lebens, lieferte er zwischen 1943 und 1945 dem amerikanischen Geheimdienst 1.600 Dokumente mit wichtigen Informationen, wie dem genauen Lageplan der Wolfsschanze. Kolbe hoffte auf die Bombardierung von Hitlers Hauptquartier in den Alpen, auf den Tod des Führers und damit auf ein schnelleres Ende des Sterbens auf den Schlachtfeldern und in den deutschen Städten. Dennoch wurde die Wolfsschanze nie bombardiert. Die West-Alliierten hatten bereits andere Interessen und Kriegsziele …
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Pendragon Verlag, 2015
Format
Kartoniert
Seiten
448 Seiten
ISBN/EAN
978-3-86532-489-4
Preis
16,99 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Andreas Kollender wurde in Duisburg geboren, studierte in Düsseldorf Germanistik und Philosophie und arbeitete nebenbei auf dem Bau, im Einzelhandel und in einer Szenekneipe. Seit 1995 lebt er als freier Autor in Hamburg und leitet Kurse für literarisches Schreiben. Dazwischen immer wieder Reisen nach Nord­afrika, Asien, Mittelamerika und Europa, die sich eindrücklich in seinen Romanen widerspiegeln.

Zum Buch:

Die Wenigsten unter uns werden mit dem Namen „Fritz Kolbe“ etwas anfangen können. Zumindest ging es mir so, bevor ich auf den Roman von Andreas Kollender aufmerksam wurde. Bald konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Kollender erzählt vom Diplomatendienst und – je nach Perspektive – von der Spionagetätigkeit oder dem Geheimnisverrat des wohl bedeutendsten Spions im 2. Weltkrieg. Als Mitarbeiter des Auswärtigen Amts (AA) der Weimarer Republik begann Fritz Kolbe seine Laufbahn im mittleren Dienst. Im Jahr 1933 stieg er zum Konsulatssekretär Erster Klasse in Madrid auf. Ab 1938, bis zum Überfall der Wehrmacht auf Polen im Jahr darauf, war er als Vizekonsul in Kapstadt tätig. In Reaktion auf den Kriegsbeginn wurden die deutschen Diplomaten von Südafrika zur Schließung der Botschaft aufgefordert und auch Kolbe zurück nach Deutschland beordert. Damit endete für ihn persönlich nicht nur die wohl schönste und angenehmste Zeit seines Lebens, es begannen auch die Jahre der Angst und Verstellung, des sich Wegduckens und Schweigens. Zuverlässigkeit, Korrektheit, Höflichkeit und Anstand galten für Kolbe zeitlebens als unverzichtbare Werte, die er verinnerlicht hatte. So heißt es an einer Stelle in Kollenders Buch: “Es war die Hölle. Schweigen und Schauspielern, das waren die Tricks. Erbärmlich. Machen Sie das mal jahrelang, gegen Ihre Überzeugung. Das bringt Sie um.” Kolbe war nie Parteigenosse, die Politik und die Methoden der Nazis waren ihm verhasst, Hitler betrachtete er als seinen persönlichen Feind und als Verräter an Deutschland, den es zu beseitigen galt.

Als er im AA in Berlin Mitarbeiter von Karl Ritter wurde, dem Botschafter zur besonderen Verwendung, der als Verbindungsmann zwischen AA und dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW) fungierte, sah Kolbe seine Chance gekommen. Ab 1943 hatte er Zugang zu streng geheimen Unterlagen und zu kriegswichtigen Dokumenten. Kolbe ergriff die Gelegenheit, bei seinen Kurierfahrten nach Bern geheime Informationen an die Gegner Nazi-Deutschlands zu übergeben. Nachdem der britische Geheimdienst keinerlei Interesse zeigte, weil man Kolbe nicht traute, gelang es ihm, Kontakt zum amerikanischen Office of Strategic Services (OSS) herzustellen. Dort traf er unter anderem auf einen gewissen Allen Welsh Dulles, den späteren ersten Direktor der CIA. Auf diese Weise wurde aus dem loyalen deutschen Beamten ein aktiver Widerstandskämpfer. Unter Einsatz seines Lebens, lieferte er zwischen 1943 und 1945 dem amerikanischen Geheimdienst 1.600 Dokumente mit wichtigen Informationen, wie dem genauen Lageplan der Wolfsschanze. Kolbe hoffte auf die Bombardierung von Hitlers Hauptquartier in den Alpen, auf den Tod des Führers und damit auf ein schnelleres Ende des Sterbens auf den Schlachtfeldern und in den deutschen Städten. Dass Nazi-Deutschland den Krieg nicht würde gewinnen können, wurde zu der Zeit auch vielen der Verantwortlichen immer deutlicher bewusst. Dennoch wurde die Wolfsschanze nie bombardiert. Die West-Alliierten hatten bereits andere Interessen und Kriegsziele. Sie waren damit beschäftigt, sich möglichst günstige Ausgangspositionen für den nahenden Kalten Krieg zu schaffen. Auch nach dem Ende des Nazi-Regimes geriet Kolbe ins Hintertreffen. Während z.B. ein Reinhard Gehlen, im 2. WK Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost, zuerst Chef der Organisation Gehlen und dann des BND werden konnte, wurde Fritz Kolbes Rückkehr ins AA von ehemaligen Kollegen verhindert; sogar ihm zustehende staatliche finanzielle Unterstützung blieb ihm verwehrt. Kollender lässt ihn seine Lage so beschreiben: „Am liebsten wäre denen, es hätte mich nie gegeben. Es ist das Gewissen derer, die nichts gegen Hitler getan haben. Die können einen Mann wie mich in ihrer Nähe nicht ertragen“. Fritz Kolbe starb desillusioniert und vergessen 1971 in Bern. Erst 2004 wurde er offiziell durch Bundesaußenminister Joschka Fischer von der Bundesrepublik geehrt. Im AA wurde der Fritz-Kolbe-Saal eingeweiht, und er wurde endlich als Widerstandskämpfer anerkannt.

Andreas Kollender hat ein unglaublich spannendes und mitreißendes Buch mit Thrillerqualitäten geschrieben. Als Grundlage diente ihm, wie er selbst in den Anmerkungen des Buches schreibt, die 2003 in Frankreich und 2004 in deutscher Übersetzung erschienene Kolbe-Biografie von Lucas Delattre.

Ralph Wagner, Ypsilon Buchladen & Café