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Der Mann erwacht auf einer Parkbank. Er ist adrett gekleidet; weißes Hemd mit Knopfleiste, dazu eine blaue Krawatte, Blazer, gute Jeans und neue Turnschuhe. Er ist sauber rasiert. Aber etwas stimmt nicht, denn er hat nicht die geringste Ahnung, wie er hierhergekommen ist. Er steht auf, schwankt und fühlt sich ein wenig wie unter Drogeneinfluss.
Da ist ein Café. Leute sitzen an kleinen Tischen. Als die Kellnerin nachfragt, was sie ihm bringen kann, deutet er auf die großen Tassen am Nachbartisch und sagt »Das da.« Er weiß nicht, was Cappuccino ist. Er erkennt an den Autokennzeichen, dass er sich in Hamburg befinden muss, und als er bezahlen möchte, greift er in die Taschen und legt einen Geldschein auf den Tisch. Schweizer Franken. Da ist der Wagenschlüssel, er weiß, das blauweiße Emblem gehört zu einem
BMW. Aber als er auf dem Parkplatz steht, weiß er nicht, welches sein Auto ist. Er wird nervös. Er sollte besser jemanden anrufen. Aber wen? Hat er Freunde? Eine Frau? Kinder?
Er weiß es einfach nicht.
In einem Schaufenster betrachtet er sein Spiegelbild, aber was er dort sieht ist ihm ebenso unbegreiflich wie die vielen, mit Zahlen beschriebenen Zettel, die er in seiner Jacke findet, zusammen mit der abgegriffenen Landkarte der Toskana, auf der mehrere kleine Dörfer mit Filzstift markiert sind. Er kann schreiben, er kann sogar seinen Namen schreiben, doch in seiner Unterschrift kann er nichts wiedererkennen.
Es besteht kein Zweifel: Er weiß einfach nicht, wer er ist.
Später wird der behandelnde Arzt Fugue diagnostizieren. Was sich anhört wie eine Spezialität aus einer Sushibar, ist eine ganz besondere Form der Amnesie, ausgelöst durch Angst, Panik, Ausweglosigkeit, bei der jedoch nicht alle Gedächtnissysteme ausfallen. Fugue bedeutet nichts weiter als Flucht, die Flucht vor einer Wirklichkeit, die zur absoluten Bedrohung wurde.
Etwas Schreckliches muss geschehen sein. Aber was? Und wo? Und wann?
Zusammen mit dem mehrfach ausgezeichneten Stern-Journalisten Kuno Kruse begibt sich der Mann von der Parkbank, der mittlerweile weiß, er heißt Heinz-Jürgen Overfeld, genannt Jonathan, auf die Suche nach einer Vergangenheit, die schreckliche Abgründe offenbart.
Der Plot, wenn man so will, liest sich wie die Idee zu einem wirklich guten Roman, auch wenn man glaubt, die Ausgangssituation schon x-mal irgendwo gelesen zu haben. Das Einzigartige besteht vielleicht gerade darin, dass jeglicher Versuch, sich selbst in diese Situation hineinzuversetzen, unweigerlich scheitern muss.
Mich hat dieses Buch sehr berührt, vor allem die gnadenlose Offenheit dem Leser gegenüber, die glatte, durch ihre Nüchternheit aufwühlende Sprache haben mich von der ersten Seite schon in ihren Bann gezogen, so dass ich geradezu an dem Text klebte.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln