Zum Buch:
Wer sich nach dem Sommer sehnt und wem es gleichgültig ist, dass seine Mitmenschen ihn ständig irritiert fragen werden: „Was lachst du denn ständig so?“, der nehme sich Skizze eines Sommers und ein YouTube-fähiges Gerät und tauche ein in Kubiczeks Geschichte mit einem sommerlichen 80er Jahre Soundtrack.
René ist 16 und sehr bedacht auf den richtigen Lifestyle: von der Kleidung über die Musik muss alles zum Vorbild Oscar Wilde und Charles Baudelaire passen. Mitte der 80er Jahre in der DDR gilt das nämlich als heillos dekadent; für René also genau richtig. Gemeinsam mit seinen Freunden führt er gelehrte Gespräche, alles natürlich ironisch. Sie stürzen sich auf die wenigen verfügbaren Bücher der in der DDR verpönten Dichter und wetteifern darum, wer den kürzeren Bleistift hat. Das nämlich gilt als Zeichen für die meisten poetischen Blitzgedanken, die sofort in Notizbüchern festgehalten werden. Renés Aufzeichnungen beschäftigen sich aber mehr und mehr mit dem „allerschönsten Mädchen ohne Namen“. Und wenn René zunächst noch Grund hat, seinen bildschönen Freund Mario wegen dessen Mädchenbekanntschaften zu beneiden, muss er sich plötzlich selbst entscheiden.
Seit dem Tod der Mutter ist René ziemlich auf sich alleine gestellt; der Vater kümmert sich nicht besonders um ihn. In den Sommerferien wird der nach Genf zu einer Konferenz fahren, sodass René sich mit einem Haufen Geld und den Schnapsvorräten seines Vaters selbst überlassen ist. Berauscht von Alkohol, Zigaretten und Musik treibt er durch den Sommer im Potsdam der 80er, knutscht, hängt mit den Freunden herum. Denn: es ist René letzter unbeschwerter Sommer, bevor in ein Kader-Internat gehen wird.
DDR-Jugendromane waren en vogue; Am kürzeren Ende der Sonnenallee und Goodbye Lenin waren nur die prominentesten Beispiele, etliche folgten dem Muster. Skizze eines Sommers macht alle Anstalten, es ihnen in Sachen Beliebtheit nachzutun: 2016 war der Roman auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. In Kubiczeks Roman wird das DDR-System nicht verklärt, kommt aber auch nur am Rande vor. Kaum einmal wird die Berührung mit dem Staat beschrieben: über Westfernsehen, wenn auch nur heimlich, kann sich die Jugend musikalisch auf dem Laufenden kann.
René und seine Freunde kleiden sich betont dekadent, um die Staatshüter zu provozieren. Abgesehen von einigen staatstreuen Rentnern in der Siedlung, die der Jugend misstrauische Blicke zuwerfen, provozieren sie jedoch niemanden ernsthaft. Nur selten gibt es eine rare Baudelaire-Ausgabe, die ist dann eine umso größere Freude. Es entsteht das Bild, dass alles zwar nicht so einfach und ohne Umwege zu haben ist – aber was ist schon einfach, wenn man 16 ist? Irgendwie kann man sich schon einrichten. Zuletzt gelingt es René sogar, seiner Zukunft im Kader-Internat Positives abzugewinnen.
Die DDR ist nicht Thema in Kubiczeks Roman, und wenn er voller Sehnsucht ist, dann nicht nach der DDR, sondern nach einem Lebensgefühl. Themen sind Melancholie und Glücksrausch, Literatur und Musik, Freunde, erste Liebe und Alkohol: die Erfahrungen eines Sechzehnjähriger im Sommer 1985. Da hinein wird liebevoll die unfreiwillige Komik des Erwachsenwerdens verwoben, ohne aber dem Gefühl zynisch seine Ernsthaftigkeit nehmen zu wollen. Und das Schönste: Renés Ich-Erzählung ist herrlich schnoddrig, witzig, melancholisch, direkt, ohne auch nur den Hauch einer Anbiederung an eine nur vermeintliche Jugendsprache. „Hell of a Summer“ von den Triffids vor sich hin summend, legt man das Buch zur Seite. Es bleibt ein kleines melancholisches Glücksgefühl – und man möchte gleich wieder von vorn anfangen.
Alena Heinritz, Graz