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Autor
Greenway, Alice

Schmale Pfade

Untertitel
Roman. Aus dem Englischen von Klaus Modick
Beschreibung

1973. Jim Kennoway hat das Leben gründlich satt. Nach einer Beinamputation zieht er sich auf die Insel vor der Küste von Maine zurück, auf der er in den Sommerferien seiner Kindheit glücklich war. Hier hat er segeln und schwimmen gelernt und vor allem die Vögel beobachtet, deren Erforschung er als Ornithologe sein Leben gewidmet hat. Und hier verkriecht er sich jetzt, lässt sich von der Nachbarin mit Corned Beef und vor allem mit Alkohol und Zigaretten versorgen und richtet sich auf den Tod ein. Menschliche Kontakte lehnt er ab; das einzige, was ihn noch interessiert, ist der Aufsatz, den er über den genauen Standort von Stevensons „Schatzinsel“ schreibt, die er identifiziert zu haben glaubt. Aber dann trifft ein Brief an seinem einsiedlerischen, alkoholgeschwängerten Rückzugsort ein, der den Besuch einer jungen Frau von den Salomoneninseln ankündigt – und mit einem Schlag bricht die Vergangenheit über ihn herein …
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Mare Verlag, 2016
Format
Gebunden
Seiten
368 Seiten
ISBN/EAN
978-3-86648-232-6
Preis
22,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Alice Greenway, 1964 in Washington, D.C., geboren, wuchs als Tochter eines Auslandskorrespondenten in Hongkong, Bangkok, Washington, Jerusalem und Massachusetts auf; später studierte sie an der Yale University. Ihr erster Roman, Weiße Geister (mare 2009), war ein großer Erfolg bei Publikum und Presse. Alice Greenway lebt in Edinburgh, Schottland.

Zum Buch:

1973. Der berühmte Ornithologe Jim Kennoway hat das Leben gründlich satt. Nach seiner Beinamputation zieht er sich auf die Insel vor der Küste von Maine zurück, auf der er in den Sommerferien seiner Kindheit glücklich war. Hier hat er segeln und schwimmen gelernt und vor allem die Vögel beobachtet, deren Erforschung er sein Leben gewidmet hat. Und hier verkriecht er sich jetzt, lässt sich von der Nachbarin mit Corned Beef und vor allem mit Alkohol und Zigaretten versorgen und richtet sich auf den Tod ein. Menschliche Kontakte lehnt er ab; das einzige, was ihn noch interessiert, ist der Aufsatz, den er über den genauen Standort von Stevensons „Schatzinsel“ schreibt, die er identifiziert zu haben glaubt. Aber dann bringt der Besuch einer jungen Frau mit dem seltsamen Namen Cadillac sein Leben gründlich durcheinander, und er muss sich seiner Vergangenheit stellen.

Cadillac, sehr groß, sehr schwarz und erfrischend unbekümmert, ist die Tochter von Tosca, den Jim 1943 als Soldat auf den Salomoneninseln kennengelernt hat. Damals war Tosca noch ein Junge und ihm als Kundschafter zugeteilt. Das gemeinsame Interesse an Vögeln macht die beiden zu Freunden; Jim bringt dem Jungen das Präparieren bei und schenkt ihm zum Abschied sein Präparationsbesteck. Und jetzt, nach dreißig Jahre ohne jeden Kontakt, schickt ihm Tosca seine Tochter, die als einzige Studentin der Salomonen einen Medizin-Studienplatz in Yale bekommen hat, damit das Mädchen im fremden Land wenigstens einen Ansprechpartner hat. Sie soll bis zum Herbst bei ihm bleiben.

Jim ist definitiv nicht erfreut über diese Störung seines Einsiedlerdaseins, kann sich aber nicht dagegen wehren. Zum Glück ist Cadillac nicht nur unabhängig und kann sich selbst beschäftigen, sie nimmt auch seine Alkoholexzesse und schlechte Laune völlig selbstverständlich hin. Zudem kennt sie sich mit Vögeln aus, denn ihr Vater hat auf der Salomoneninsel inzwischen ein vogelkundliches Museum aufgebaut. Cadillac erzählt viel von ihrem Vater – und jede Erzählung öffnet in Jims Kopf eine neue, lange verschlossene Türe zur Vergangenheit und zu den verdrängten Traumata seines Lebens.

In Rückblenden zeichnet Alice Greenway ein Leben nach, das mit einer lieblosen Kindheit im Wohlstand begann und im Zweiten Weltkrieg im Pazifik zerbrach. Schilderungen der hierzulande relativ unbekannten Aspekte des Kriegs im Pazifik, einem Krieg, der auf beiden Seiten an Grausamkeit kaum zu überbieten war, wechseln mit eindrücklichen, ungeheuer liebevollen und detaillierten Beschreibungen der Natur und Kultur der abgelegenen Pazifikinsel, Momenten des Glücks und des äußersten Schreckens. Es gelingt der Autorin auf bewundernswerte Weise, die langsame Verrohung der Soldaten im Krieg und ihre Schreckenstaten nachvollziehbar zu machen, ohne den Horror zu entschuldigen oder zu bagatellisieren. Und sie schafft es, in den beiden Protagonisten Jim und Cadillac auf unaufdringliche Weise zwei ganz unterschiedliche Kulturen und entgegengesetzte Entwürfe zum Umgang mit Leben und Tod, Güte und Grausamkeit zu verkörpern. Damit bietet sie über die spannende Lektüre hinaus viel Stoff zum Nachdenken – und einen anderen Blick auf die uns vertraute und die uns fremde Welt.

Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main