Zur Autorin/Zum Autor:
Olaf Jessen, Dr. phil., geb. 1968, Historiker und Publizist, lebt in Schleswig- Holstein. Von ihm erschienen sind zahlreiche Veröffentlichungen zur preußischen und deutschen Geschichte.
Die Knochenmühle. Die Blutpumpe. Die Hölle. So beschrieben diejenigen, die Verdun und damit den Beginn der großen Materialschlachten des Ersten Weltkriegs, egal auf welcher Seite miterlebt und – in den meisten Fällen – nicht überlebt hatten, das dreihunderttägige Grauen an der Westfront von 1916. Der Historiker Olaf Jessen hat es auf sich genommen, das eigentlich Unsagbare in lesbarer Form zu erklären. Es ist ihm mehr als gelungen.
(ausführliche Besprechung unten)
Neben der Schlacht an der Somme gilt die Schlacht um Verdun, die vom 21. Februar bis zum 19. Dezember 1916 dauerte und an der zweieinhalb Millionen deutsche und französische Soldaten beteiligt waren, wohl als eine der bedeutendsten im Ersten Weltkrieg überhaupt.
Als die Oberste Heeresleitung erkannt hatte, dass die schiere Überlegenheit der Ententemächte an Menschen und Material einen raschen und günstigen Kriegsverlauf in weite Ferne zu rücken drohte, entschied sich der preußische Generalstabschef des deutschen Heeres, Erich von Falkenhayn, alles auf eine Karte zu setzten und den Gegner in einem bisher nie dagewesenen Großangriff zu vernichten. Ganz gleich, was es kostete.
Ziel der Offensive „Operation Gericht“ war die völlige Vernichtung der Festungsanlage von Verdun, einem Bollwerk von nationaler und daher für die Franzosen extrem symbolischen Bedeutung, zu dessen Verteidigung, wie Falkenhayn voraussagte, Paris enorme Kräfte an Soldaten werde konzentrieren müssen und dadurch, wie er wiederholt formulierte, zum „Weißbluten“ gezwungen werde. Er sollte damit recht behalten.
Wenn man, wie in Olaf Jessens hervorragend dokumentiertem Bericht, Luftaufnahmen von Verdun vor und nach der Schlacht betrachtet, so glaubt man nicht, ein und dasselbe zu sehen. Die Festung sowie das weiträumige Umfeld wurden nicht geschleift, sie wurden regelrecht umgepflügt, eingeebnet, ausgelöscht. Man hat ausgerechnet, dass stündlich etwa 10.000 mehrere Tonnen schwere Granaten über der Festung und den umliegenden Stellungen niedergingen. Man kann, man will sich dieses Orchester des Todes erst gar nicht vorstellen. Auf beiden Seiten wurden die Soldaten zerrissen, lebendig begraben oder vom Gas verätzt. Oder verhungerten oder verdursteten, weil sie von jeglicher Nachschubmöglichkeit abgeschnitten waren. Und dann kam der Regen. Und dann kam die Kälte des Winters.
Am Ende hatte sich der Frontverlauf kaum geändert.
Man schätzt die Gesamtzahl der Gefallenen und derjenigen, die den direkten Folgen ihrer Verwundungen erlagen, auf eine Million. Die Schlacht um Verdun, die ein Historiker einmal als die Mutter aller Schlachten bezeichnet hatte, steht nicht erst seit heute, knapp hundert Jahre danach, für das wissentliche und gewollte Verheizen von Menschen, das sinnlose Austilgen von Leben. Verdun ist zum Symbol geworden, gerade was die deutsch-französischen Beziehungen angeht. Man gedenkt, legt Kränze nieder, salutiert. In seiner Gesamtheit erfassen wird man das, was damals geschehen ist, vielleicht nie können.
Der Historiker und Autor Olaf Jessen hat es versucht, indem er dem Grauen ein Gesicht verschafft, nein, nicht eins, sondern viele Gesichter. Er beschreibt, wie es dazu kam, und er beschreibt, was dort, vor bald hundert Jahren, geschehen ist, wirft einen Blick in eine danteske Hölle, und man ahnt, welch enorme Recherchearbeit dahinter gesteckt haben muss. Vielleicht sollte an dieser Stelle einmal ein Dank ausgesprochen werden. Ein Dank dafür, dass nicht wir, die interessierte Leserschaft, sondern ein anderer sich bis über die unschönsten Details hinweg mit diesem Thema auseinandergesetzt und für uns das Dunkel, jeden noch so grausigen Winkel dieser schrecklichen Geschichte ausgelotet hat. Und das über einen Zeitraum von Jahren hinweg. Denn wenn man Jessens Buch liest, ist sofort klar, dass er weiß, wovon er spricht. Und dass er noch viel mehr weiß, was zu sagen sich erübrigt. Sie werden verstehen, was ich meine. Ganz sicher werden Sie das.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln