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Wandel

Autor
Martínez, Gabi

Wandel

Untertitel
Eine Rückkehr zum Ursprung im Hirtenland. Aus dem Spanischen von Steven Uhly
Beschreibung

Gabriel Martínez ist Autor und Journalist. Er hat ausgedehnte Reisen rund um den Globus unternommen. 2018 entschloss er sich, in die Extremadura zu gehen, Spaniens am dünnsten besiedelte Region an der Grenze zu Portugal. Dort ist seine Mutter als Hirtenmädchen aufgewachsen, und er will wie sie lernen, Schafe zu hüten, um das Land kennenzulernen, aus dem er stammt, und um zu verstehen, was seine Mutter geprägt hat. Er lernt eine Region im Wandel zwischen ständiger Anpassung an „moderne“ Landwirtschaft und Viehhaltung kennen und Menschen, die versuchen, den Folgen etwas dagegenzusetzen – durch Erhalt alter Viehrassen, lokalem, nachhaltigem Anbau und Verkauf der eigenen Produkte in der Region. Wahrer Wandel ist eine Reise in eine geografisch nahe und doch fremde Welt – eine faszinierende und, in Teilen, bestürzende Lektüre.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Secession Verlag Berlin, 2024
Seiten
270
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-96639-056-9
Preis
25,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Gabi Martínez, geb. 1971 in Barcelona, hat den Nil von der Quelle bis zur Mündung bereist, ist durch den Hindukusch gewandert, durch den venezolanischen Dschungel, an der chinesischen Küste, in Patagonien und er hat Australien von Küste zu Küste erforscht. Dabei hat er über Orte, Menschen und Tiere und die Verbindung zwischen ihnen geschrieben. Die Bedeutung dieses natürlichen Bundes sichtbar zu machen – darin besteht der Kern seiner Arbeit.

Zum Buch:

Wahrer Wandel – das ist kein eingängiger Titel, aber einer, der genau beschreibt, worum es Gabì Martinez in seinem Buch geht: um einen Wandel, der nicht nur Fortschritt um jeden Preis oder Effizienz und immer größere Gewinne bedeutet, aber auch um einen, der nicht zurück in eine angeblich goldene Vergangenheit will. Der Autor hat sich mit 47 Jahren nach vielen Reisen rund um den Globus für einige Monate in die am dünnsten Besiedelte Region Spaniens, die Extremadura, begeben. Dort ist seine Mutter aufgewachsen, und wie sie in ihrer Jugend will der in Barcelona lebende Autor lernen, Schafe zu hüten. Das karge Leben, die Weite der Landschaft und der Kontakt zu den Menschen verändern ihn. Zum ersten Mal ist er weder in einer Großstadt noch in entfernten Gegenden unterwegs, sondern lebt über Monate in einer relativ abwechslungsarmen Umgebung. Er wohnt in einer kargen Steinhütte und kümmert sich mit Hilfe einer jungen, eigenwilligen Mastiffhündin um eine Herde schwarzer Merinoschafe.

Nach und nach lernt er die Menschen kennen, die verstreut in dem „La Siberia“ genannten Landstrich leben. Sie alle haben mit den zunehmenden Folgen des Klimawandels, der Konkurrenz durch die globale Fleisch- und Agrarproduktion und Auflagen bei der Vermarktung die gleichen Probleme. Aber ihre Wege, dem zu begegnen, sind sehr unterschiedlich. Die Mehrheit versucht es mit den üblichen Methoden: durch ständige Steigerung der Erträge mit Hilfe der reichhaltigen Angebote der Chemiekonzerne. Andere dagegen wollen die Einzigartigkeit der „Dehesas“ – der weiten, von Steineichen locker bewachsenen Weiden – erhalten und setzen dabei auf traditionelleres Wirtschaften wie den Erhalt alter und robusterer Schafrassen sowie den Verzicht auf aggressive Spritzmittel. Sie haben es dabei nicht nur mit dem eingefleischten Veränderungsunwillen der Landbevölkerung zu tun, sondern auch mit unsinnigen Verordnungen der lokalen Behörden und der EU

Martínez verklärt das harte Leben der Hirten nicht und sieht durchaus die Zwänge der Viehhalter. Seine Beschreibungen sind knapp, unsentimental und ohne die so oft wohlfeile Empörung über die Zerstörung von Flora und Fauna – was nicht bedeutet, dass er keinen eigenen Standpunkt hat. Eine Schwierigkeit sieht er im tief verwurzelten Machismo der Männer. Für sie ist es normal, dass jedermann ein Gewehr hat, weil sie zutiefst davon überzeugt sind, auf alles schießen zu können, was sie für nutzlos, schädlich oder überflüssig halten. Sie verherrlichen die Stiere als Inbegriff von Stärke, und zwar deren Hoden mehr noch als das lebendige Tier. Sie votieren gegen die Umwandlung der Region in ein geschütztes Reservat, weil dann der Wolf wiederkommen könnte, aber mehr noch, weil damit einengende Auflagen drohen könnten.

Es sind jedoch nicht nur die traditionellen Tierhalter, die verhindern, dass sich die Landwirtschaft den natürlichen Kreisläufen anpasst, auch „gut gemeintes“ behördliches Eingreifen richtet häufig mehr Schaden als Nutzen an. Ein Beispiel: Die Kadaver von Tieren, die in der weiten Landschaft zu Tode gekommen sind, wurden durch Geier in Windeseile bis auf die Knochen abgefressen. Wegen angeblicher Gesundheitsgefahren wurde jedoch verfügt, die Tierkadaver zu sammeln und zu vernichten. Das Ergebnis war, dass die jetzt hungernden Geier sich über lebende Tiere hermachten. Um das zu verhindern, wurden die Kadaver an speziellen Sammelstellen den Geiern überlassen. Diese sind nun satt und vermehren sich durch die gute Fütterung so prächtig, dass es wohl bald zu einer Geierplage kommen dürfte …

Wahrer Wandel ist ein vielschichtiges Buch. Es ist voller Fakten und Argumente, aber auch voller Beschreibungen einer einzigartigen Landschaft, voller Geschichten über eine landwirtschaftlich geprägte Welt und ihre Menschen, und es macht deutlich, wie komplex ein „Wandel“ ist, wenn er wirklich „wahr“ sein soll.

Ruth Roebke, Frankfurt